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Interview ZEIT Campus: "Keiner braucht geklonte Standard-Typen!"

Veröffentlicht am 18.04.2014 12:38h

Was zählt bei Bewerbung, Vorstellungsgespräch und Assessment Center? Ein Interview mit dem Diplom-Psychologen und Personalberater Claus Peter Müller-Thurau

ZEIT Campus: Herr Müller Thurau, wie finde ich die Stelle, die zu mir passt?

Müller-Thurau: Indem ich mir zunächst drei Fragen stelle. Erstens: ‚Wer bin ich?’ Das ist die Frage nach meiner Persönlichkeit. Zweitens:  ‚Was kann ich?’ Hier geht es um Fähigkeiten und Fertigkeiten. Und drittens: „Was will ich?’ Diese Frage zielt auf die Motivation bzw. beruflichen Vorstellungen und Wünsche.

ZEIT Campus: Wenn ich das weiß – auf welchen Wegen bewerbe ich mich am besten?

Müller-Thurau: Grundsätzlich muss ich alle Wege gehen, das heißt: Im Internet recherchieren, Zeitungsanzeigen studieren und  Jobmessen besuchen. Es darf auch initiativ sein; circa 30 Prozent der Unternehmen schauen sich Initiativbewerbungen an – sofern sie gut gemacht sind, sonst landen sie im Papierkorb.

ZEIT Campus: Ich habe mit dem Studium schon so viel zu tun. Wie schaffe ich es da noch, eine supertolle Bewerbung zu schreiben?

Müller-Thurau: Alle reden sie heute von Multitasking. Auch als Bewerber muss ich es eben schaffen, Privatleben, Studium und Jobsuche unter einen Hut zu bekommen. Da hilft nur ein gutes Zeitmanagement – das brauche ich schließlich auch später im Job. Der Stress im Studium ist also keine Entschuldigung, sich nicht rechtzeitig um den beruflichen Einstieg und damit um Bewerbungen zu kümmern.

ZEIT Campus: Was macht meine Bewerbung interessanter als die der anderen?

Müller-Thurau: Die meisten Jobaspiranten schreiben Bewerbungen, die ihnen selbst gefallen. Das ist der erste Fehler: Die Bewerbung soll nicht dem Absender gefallen, sondern dem Adressaten. Als Bewerber muss ich versuchen, mit dem Kopf des Arbeitgebers zu denken und dann Werbung in eigener Sache zu machen. Es geht um ein gekonntes Marketing – genauer gesagt um Selfmarketing.

ZEIT Campus: Worauf schauen Personalchefs als Erstes?

Müller-Thurau: Auf die Optik der Unterlagen. Denn die Fähigkeit, etwas gut zu präsentieren, gehört mit zu den wichtigsten Soft Skills. Diese Qualifikation kann ich in meiner Bewerbung schon einmal zeigen – Print oder Online.

ZEIT Campus: Wie muss meine Bewerbung denn aussehen?

Müller-Thurau: Wichtig ist, dass sie eben „werblich“ gemacht ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich mir Gedanken über die Struktur und sinnvolle Gestaltungsmittel wie Schriftart, Schriftgröße, Hervorhebungen und so weiter mache. Gleichzeitig kann ich meine Fähigkeit zum Mitdenken zeigen, in dem ich nicht „flügelaltarähnliche“ Mappen verschicke – die sind eine Zumutung für jede Personalabteilung. Wer so eine verschickt, müsste gezwungen werden, seine Unterlagen dort 100 Mal ein- und auszuheften. Das ist Sträflingsarbeit.

ZEIT Campus: Was macht mein Bewerbungsfoto ansprechend?

Müller-Thurau: Zunächst der Verzicht auf eitle Selbstinszenierungen, die einem häufig die Fotografen einreden. Also keine Ganzkörperbilder, riesige Fotos in oval oder Aufnahmen, bei denen die obere Schädelhälfte abgeschnitten ist. Bitte auch nicht die Arme verschränken oder eine Denkerpose einnehmen. Was Personalchefs wollen, ist ein ganz normales Foto. Es gibt immer wieder Bewerber, die möchte man bei der Begrüßung zum Vorstellungsgespräch „Was wollen Sie denn hier?“ fragen, weil man sie aufgrund des den Unterlagen beigefügten Fotos nicht wiedererkennt.

ZEIT Campus: Und wo soll das Foto stehen?

Müller-Thurau: Im tabellarischen Lebenslauf oben rechts.

ZEIT Campus: Was springt dem Personalchef im Lebenslauf ins Auge?

Müller-Thurau: Am auffälligsten ist es, wenn der Bewerber Interpretationsspielräume lässt. Zum Beispiel wenn jemand schreibt „Selbstständige Tätigkeit als Berater“, obwohl er in Wirklichkeit einfach keine Stelle gefunden hat. Dann sollte man lieber zu meinen Lücken stehen und sagen: „Ich habe noch nichts Passendes gefunden“.

ZEIT Campus: Ich habe den Eindruck, viele engagieren sich nur deshalb sozial, damit es im Lebenslauf steht.

Müller-Thurau: Trotz allem haben diejenigen diese Tätigkeit ja gemacht – und das finde ich gut, egal, was ihre Motivation war. Wenn ein Bewerber zum Beispiel Klassen- oder Schulsprecher war, ist das ein erster möglicher Hinweis auf eine Führungspersönlichkeit. Und wenn jemand ein Jahr lang ehrenamtlich irgendwelche Projekte betreut hat, zeigt das eventuell Organisationstalent und Verantwortungsbewusstsein.

ZEIT Campus: Sollten meine absolvierten Praktika bereits ein Ziel verfolgen oder dürfen die ruhig querbeet sein?

Müller-Thurau: Eines der größten Erfolgsrezepte heißt „Trial and Error“. Dazu gehört natürlich, dass ich auch mal auf die Schnauze falle; das ist auch eine wichtige Erfahrung. Aber irgendwann muss damit Schluss sein. Dann wollen wir von dem Bewerber wissen, wohin die berufliche Reise denn gehen soll.

ZEIT Campus: Ist es ein großer Vorteil, wenn ich bereits ein Praktikum in der Branche absolviert habe, in der ich mich bewerbe?

Müller-Thurau: Ja, unbedingt. Und darauf muss man direkt im Anschreiben hinweisen.

ZEIT Campus: Recherchiert ein Personalchef über mich im Internet?

Müller-Thurau: Das kann passieren. Viele Nutzer vergessen, dass das Netz nichts vergisst: Wer sich nach Mitternacht und einer Flasche Rotwein als Blogger betätigt, muss damit rechnen, dass ihm das irgendwann vor die Füße fällt. Also Vorsicht!

ZEIT Campus: Wie ist es mit sozialen Netzwerken wie Facebook?

Müller-Thurau: Auch da schauen die Personalchefs bisweilen hinein. Dabei gilt: Wer sich überall und zuviel anbietet, der entwertet sich. Wer bei jeder Party dabei ist, zeigt, dass er nicht wählerisch ist. Es besteht die Gefahr des „Overexposure“: „Der schon wieder!“ Die Erfolgsdevise heißt „Klasse satt Masse“.

ZEIT Campus: Wie viel Schummeln ist in der Bewerbung erlaubt: Darf ich aus meinem Nebenjob als Babysitter eine wertvolle soziale Erfahrung machen?

Müller-Thurau: Durchaus, es kommt nur darauf an, wo ich mich bewerbe. Wenn ich mich um einen sozialen Beruf bewerbe, darf ich das ruhig hineinschreiben. „Werben“ kommt von dem althochdeutschen „(h)werban“ und bedeutet „sich drehen und wenden“, sich „umtun“. Und zwar so, dass die beste Seite zum Vorschein kommt.  

ZEIT Campus: Habe ich in den meisten Jobs überhaupt eine Chance, wenn ich kein Einserzeugnis mitbringe?

Müller-Thurau: Das hängt von der Branche ab: Wenn sich ein Jurist mit einem „ausreichend“ bewirbt, hat er sicherlich in einer Kanzlei wenig Chancen. Allerdings gibt es viele Unternehmen, die sich für das Zeugnis nicht sonderlich interessieren. Aus der Psychologie weiß man, dass es nur einen geringen Zusammenhang zwischen schulischem und beruflichem Erfolg gibt. Da sollte man sich also nicht verrückt machen. Trotzdem schadet ein gutes Zeugnis natürlich nur jenen, die es nicht haben.

ZEIT Campus: Wie reagiere ich, wenn ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde, das ausgerechnet an einem Prüfungstermin liegt?

Müller-Thurau: Da sollte man ganz offen sein, das Unternehmen anrufen und Bescheid sagen, dass man eine Prüfung habe und deshalb nicht könne. Das zeigt dem Unternehmen, dass man als Bewerber die richtigen Prioritäten zu setzen vermag.

ZEIT Campus: Zahlt mir das Unternehmen die Fahrkosten?

Müller-Thurau: Ja, wenn ich eingeladen bin, werden mir von seriösen Unternehmen die Fahrtkosten und Spesen bezahlt. Bei einer Initiativbewerbung sollte man allerdings nachfragen.

ZEIT Campus: Wie spreche ich das Thema am besten an – oder ist das jedem Unternehmen klar?

Müller-Thurau: Wie gesagt – bei einem seriösen Unternehmen ist das selbstverständlich. Wer unsicher ist, kann vorher im Sekretariat anrufen, den Vorstellungstermin kurz bestätigen und beiläufig fragen, ob die Kosten übernommen werden.

ZEIT Campus: Was ist im Bewerbungsgespräch wichtig?

Müller-Thurau: Man kann die Menschheit in zwei Gruppen einteilen: da sind zum einen die typischen Beobachter und zum anderen diejenigen, die sich immer beobachtet fühlen. Klar, wer kompetenter auftritt und mental besser drauf ist – die Beobachter. Als Bewerber muss man den Spieß umdrehen: „Ich mache auch Psychodiagnostik. Ich schaue mir die Leute und das Unternehmen auch genau an“. Natürlich ist eine sehr gute Vorbereitung ist selbstverständlich.

ZEIT Campus: Was kommt besonders gut an?

Müller-Thurau: Man muss – ohne arrogant zu wirken – in jedes Vorstellungsinterview mit der Option gehen, im Falle eines Angebotes auch als Bewerber nein sagen zu können. Leute, die nur unterkommen wollen bzw. die sich zu elastisch oder angepasst geben, haben bei kompetenten Personalern wenig Chancen. Im übrigen werden nicht die Besten gesucht, sondern Frauen und Männer, die zur Aufgabe und zum Unternehmen passen. Das gilt es zu zeigen – mehr nicht.

ZEIT Campus: Was sollte ich in keinem Fall tun?

Müller-Thurau: Das Grauenhafteste ist, wenn einem Bewerber das Unternehmen vorgestellt wird und der schreibt emsig mit. Als Personaler fühlt man sich da wie beim Diktat und der Blickkontakt ist auch weg. Ein auf sein Blatt Papier fixierter Bewerber wirkt hochgradig unsouverän.

ZEIT Campus: Womit hat Sie ein Bewerber besonders überzeugt?

Müller-Thurau: Das war eine junge Absolventin, die auf die Frage nach ihren besonderen Schwächen antwortete: „Es nervt mich unglaublich, wenn Kollegen ihr Wissen für sich behalten. Und da bekomme ich dann Streit, weil ich mich wohl nicht ganz diplomatisch verhalte.“ Sie hat damit ein Problem vieler Unternehmen angesprochen – nämlich das Nichtweitergeben von Wissen aus Nachlässigkeit oder gar, um die anderen nicht schlau zu machen. Mit ihrer Einlassung hat die Bewerberin zugleich aus einer Schwäche –  „es nervt mich“ – eine Stärke gemacht. Außerdem beeindrucken mich als Personalbeschaffer Ehrlichkeit und Gradlinigkeit. Zum Beispiel, wenn ein Bewerber auf die Frage nach seiner abgebrochenen Lehre zugibt: „Ja – diese Berufswahl war ein Griff ins Klo.“

ZEIT Campus: Wie ging es Ihnen bei Ihrem ersten Bewerbungsgespräch?

Müller-Thurau: Mein erstes Bewerbungsgespräch war bei einer schwedischen Personalberatungsfirma. Die haben mit mir erst einen Psychotest gemacht und mir dann erzählt, dass ich ein ganz unterirdischer Typ sei und wie ich auf die Idee gekommen sei, mich als Personalberater zu bewerben. Das war also ein Stressinterview und nicht gerade angenehm. Aber als Psychologe wusste ich, dass es solche Methoden gibt und konnte gelassen bleiben.

ZEIT Campus: Und, wie lief’s?

Müller-Thurau: Ich habe den Job bekommen. Ich selbst würde solche Mätzchen bei Bewerbern allerdings nie anwenden.

ZEIT Campus: Worauf kommt es im Assessment Center an?

Müller-Thurau: Im Assessment Center geht es in erster Linie um soziale Situationen, also Gruppendiskussionen und dergleichen. Als Bewerber muss man die Gratwanderung schaffen zwischen Durchsetzungs- und Teamfähigkeit. Also den eigenen Standpunkt zu kontroversen Themen klar auf den Punkt bringen, aber zugleich immer auch den Gruppenprozess fördern – die Meinung anderer erfragen, ein guter Zuhörer sein, Gemeinsamkeiten feststellen und eventuell Spielregeln zu formulieren.

ZEIT Campus: Womit disqualifiziere ich mich als Bewerber sofort?

Müller-Thurau: Eine Plage sind Vielredner und Menschen, die sich als Mittelpunkt der Welt abfeiern. Aber auch diejenigen, die sich sofort in die Schmollecke zurückziehen, wenn sie mal einen übergebraten bekommen, sind nicht sonderlich teamfähig. Wobei sich derjenige, der nicht halbwegs verletzungsfrei kommunizieren kann, ebenfalls disqualifiziert.

ZEIT Campus: Wie finden Personalchefs noch einen Unterschied zwischen den Bewerbern, wenn sich doch alle anhand derselben Standardwerke vorbereiten und wissen, was sie anziehen sollten und was sie tun und was sie lassen sollen?

Müller-Thurau: Personalchefs suchen Bewerber, die sich in erster Linie selbst treu sind und keine geklonten Standard-Typen. Der Bewerber muss ein eigenes persönliches Profil haben und dieses zeigen. Manchmal kann es sogar vorteilhaft sein, vorsätzlich in ein Fettnäpfchen zu treten, denn dann ist es weg – man muss allerdings gutes Schuhwerk anhaben. Eiertänzer kann jedenfalls keiner wirklich gebrauchen. Die nachhaltig guten Fach- und Führungskräfte sind von ihrer Persönlichkeit her eher aus krummem Holz gemacht.

Das Interview führte Ruben Karschnick