Das Frageziel des Interviewers
Diese Frage ist natürlich prickelnd, wenn man eher bescheidene Noten vorzuweisen hat. Der Fragende möchte wissen, ob und wie man zu den Unebenheiten bzw. Misserfolgen im Lebenslauf steht. Wer diese Frage gut abfedert, macht auch mit miesen Noten seinen Weg.
Antwort A
„Na ja, wer ist schon mit jeder einzelnen Note zufrieden. Manchmal erwischt man bei Prüfungen ja auch einen schlechten Tag und bei manchen Fächern sind die Beurteilungskriterien auch recht verschwommen. Und im Fach Finanzwirtschaft fühle ich mich ungerecht beurteilt – der Professor mochte mich einfach nicht.“
Bewertung
Der Bewerber flüchtet sich in Mutmaßungen und Plattitüden. Bei Freunden einer klaren Aussage kommt er damit nicht gut an. Nichts wird von Vorgesetzten mehr gehasst, als Schuldzuweisungen gegenüber Dritten. Wer sich bereits als Bewerber hinsichtlich seiner Defizite herauszureden versucht, weckt die Befürchtung, dass er im Job ebenso verfahren wird.
Antwort B
„In der Tat – mit meinen Noten kann ich nicht gerade Furore machen! Ich hätte da durchaus noch zulegen können. Das ärgert mich jetzt natürlich, denn ich denke schon, dass ich deutlich mehr kann, als meine Zeugnisse belegen. Vor allem in der Schulzeit bestand mein Problem immer darin, dass ich nicht so recht verstanden habe, was ich warum lernen sollte. Das hat meine Leistungsfreude nicht gerade beflügelt. Leider. Aber inzwischen ist bei mir der Knoten geplatzt.“
Bewertung
Das geht locker durch. Gute Examensnoten sind im Zweifelsfall zwar immer besser, aber dieser geradlinige Umgang mit den eigenen Defiziten kommt meist gut an. Punkte gibt es vor allem dann, wenn der Gesprächspartner Zensuren generell keine hohe Aussagekraft für den späteren beruflichen Erfolg zubilligt.
Antwort C
„Sie sprechen vermutlich mein vorletztes Arbeitszeugnis an ... . Ich bin aus der damaligen Firma ja bereits nach gut einem Jahr wieder ausgeschieden, weil ich mit meinem Vorgesetzten nicht klar kam. Es kam häufig zu Missverständnissen und offenbar hatte er Erwartungen, die ich nicht hundertprozentig erfüllen konnte. Ich wollte am Ende auch keinen Streit mehr und habe die Formulierung ‚zu unserer vollen Zufriedenheit’ im Arbeitszeugnis akzeptiert.“
Bewertung
Dies ist eine sehr geradlinige Reaktion auf die Frage noch den Zeugnissen. Der Bewerber kommt ohne Schnörkel auf den Punkt, weil er sich mit der ‚Zeugnissprache’ auskennt und weiß, welche Schwachstelle der Interviewer indirekt angesprochen hat. Eine uneingeschränkt gute Beurteilung zeigt sich in den Formulierungen ‚stets zu unserer vollen Zufriedenheit’ bzw. ‚stets zu unserer vollsten Zufriedenheit’. Manche Personalchefs verweigern die letzte Formulierung, weil mehr als „voll“ nicht geht.
aus: Claus Peter Müller-Thurau: 101 Fragen und Antworten im Vorstellungsgespräch. Rudolf Haufe Verlag. 4. Auflage 2011
Fortsetzung folgt.